Mittwoch, 6. Juni 2007

Der Irrsinn des Planens

„Der Mensch macht Pläne, obwohl jeder Mensch weiß, dass nichts unplanmäßiger verläuft als das Leben. Gerade aus den unplanmäßig eintretenden Dingen kann das Beste erwachsen. Und doch scheint es so zu sein, dass das Leben und die Welt ohne Plan nicht bezwingbar sind. Alles ist zu kompliziert, als dass man die Bewältigung der Zukunft dem Zufall überlassen könnte.“


Sie öffnete ihre Augen exakt vier Minuten bevor sie aufstand, und das jeden Morgen. Es schien als hätte sich ihr Körper an die klaren Abläufe angepasst und handelte genauso wie sie es wollte. Sie hatte sich für jeden Morgen einen genauen Plan zurecht gedacht, den sie stringent einhielt. Zuweilen, wenn sie kurz davor war einen Fehler zu machen, hielt sie inne, ermahnte sich kurz und machte so wie geplant weiter.


Da sie jeden Tag außer am Wochenende und an Feiertagen zur selben Zeit aufstehen musste, hatte sie auch jeden Tag denselben Ablauf einzuhalten. Sie stand auf, machte das Bett, nahm ihre Arbeitstasche von ihrem Platz neben dem Schreibtisch, ging ins Wohnzimmer, schaltete das Radio an, ging in die Küche, machte Kaffee und wärmte ein Croissant auf, füllte Wasser in eine Flasche, stellte diese kalt, aß und trank, ging ins Bad, putzte sich die Zähne und duschte, ging ins Schlafzimmer, zog die Sachen an, die sie am Abend zuvor bereits herausgelegt hatte, ging wieder ins Bad, schminkte sich, kämmte sich die Haare, öffnete – nun da sie gut aussah – die Jalousien, zog Schuhe und Jacke an, machte das Radio aus, holte das Wasser aus dem Kühlschrank, steckte es in die Tasche, machte die Tasche zu, nahm sie mit, öffnete und schloss die Tür ab und fuhr zur Arbeit.


Während dieser Zeit wurde ihr Plan durch die Unvorhersehbarkeit der Außenwelt durcheinander gebracht. Doch auch daran hatte sie sich gewöhnt, indem sie zum Einen an ihr sicheres Heim dachte und zum Anderen feste Dinge in ihren Arbeitsalltag eingeflochten hatte. Wenn sie dann nach Hause kam, bereitete sie ihr Abendessen vor, schaute ihre üblichen Serien im Fernsehen und machte sich zu den unterschiedlichen Zeiten bettfertig. Sie packte ihre Sachen für den nächsten Tag, legte die Wäsche für morgen heraus, zog sich, ging ins Bad, putzte sich die Zähne, machte die Jalousien zu, legte sich ins Bett und las noch etwas, ehe sie sich zum Schlafen hinlegte. In ihrem Heim fühlte sie sich immer am wohlsten.


In diesem geschlossenen Raum bestimmte sie alleine über alles. Nur hier war es am besten möglich, Pläne zu machen und sie auch einzuhalten. Was in der Welt außerhalb geschah, war unvorhersehbar. Und genau deswegen hatte sie alles was planbar war geplant – manchmal schon Tage im Voraus. Es gab ihr Sicherheit und verhinderte, dass sie verwirrt durch Planlosigkeit durch das Leben raste. Wenn dann doch etwas Unerwartetes geschah, war sie umso erschrockener und absolut unvorbereitet.


Ihre Gedanken rasten dann durcheinander; sie versuchte Ordnung zu machen und sich schnell einen Plan zurechtzulegen. In diesen Momenten wurde ihr die Sinnlosigkeit ihrer Marotte klar und doch konnte sie nicht damit aufhören. Für sie war es wichtig, dass alles was geordnet werden konnte, geordnet wurde und das alles was planbar war, geplant wurde!

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